Im Juni 2025 tritt das EU-weite Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Einige Websitebetreiber müssen ab dem 28. Juli 2025 ihre Inhalte barrierefrei zugänglich machen und halten. Neue Websites müssen dann barrierefrei sein.
Bevor Sie weiterlesen noch ein Hinweis: Ich bin keine Juristin. Die hier zusammengetragen Erkennisse ersetzen keine juristische Beratung oder eine eigene Auseinandersetzung der zugrundeliegenden Gesetzeslage. In individuellen Fällen kann eine Einschätzung zur Barriefreiheitspflicht recht kompliziert sein. Ziehen Sie einen Juristen beratend hinzu, wenn Sie vermuten, nicht unter die neuen Regelungen zu fallen, um auch wirklich sicher zu gehen.
Wichtige harmonisierte Normen für digitale Barrierefreiheit
Wenn von harmonisierten Normen im Bereich der digitalen Barrierefreiheit die Rede ist, sind technische Standards gemeint, die von der EU anerkannt wurden, um die Anforderungen bestimmter Gesetze – wie das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) oder die EU-Richtlinie 2016/2102 – konkret umzusetzen.
- EN 301 549 ist die zentrale Norm für digitale Barrierefreiheit in der EU, entwickelt von der European Telecommunications Standards Institute (ETSI).
- WCAG 2.1 sind die internationalen Richtlinien für barrierefreie Webinhalte, entwickelt vom World Wide Web Consortium (W3C).
Warum sind sie wichtig?
- Sie erleichtern die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben.
- Sie bieten klare, messbare Kriterien für Barrierefreiheit.
- Unternehmen und öffentliche Stellen können sich an ihnen orientieren, um rechtliche Risiken zu vermeiden.
Das Verhältnis zwischen EN 301 549 und WCAG 2.1 und die Rolle der Gesetze
Die WCAG 2.1 bezieht sich nur auf Web-Inhalte und seine Barrierefreiheit.
Die EN 301 549 bezieht sich auf ein breiteres Feld. Es konkretisiert Barrierefreiheit nicht nur für Web-Inhalte, sondern auch für:
- Software und Betriebssysteme
- Dokumente (z. B. PDFs)
- Hardware wie Terminals und Geräte mit Bildschirm
- Kommunikationsdienste
- Elektronische Dokumente und Medien
Zusammengefasst: Die EN 301 549 nennt für Webinhalte die WCAG 2.1 Level AA als Mindestanforderung für Web-Inhalte und erweitert sie auf weitere digitale Produkte.
Das BFSG als Gesetz legt nur fest, welches Ergebnis in Bezug auf Barrierefreiheit erreicht werden muss. Die technische Umsetzung der Barrierefreiheit orientiert sich demzufolge an den aktuell formulierten Web-Standards dafür, den harmonisierten Normen.
Einfach gesprochen, hat man sich aktuell darauf verständigt, dass Informationen über mindestens zwei Sinne erfahrbar sein sollten.
Praktisch bedeutet das z.B.:
- Grafiken und Videos sollten mit Untertiteln versehen sein, so sind sie visuell und auditiv erlebbar
- Audiofiles sollten eine kurze Zusammenfassung in Textform an Seite gestellt werden, so sind sie auditiv und visuell erlebbar.
- Geschriebener Text muss Screen-Reader-freundlich umgesetzt sein, damit er nicht nur visuell, sondern auch auditiv erlebbar ist.
Hinzu kommt, dass man auch auf kognitiver oder intellektueller Ebene einen Ausschluss von Personengruppen vorbeugen möchte, indem man festlegt, dass Informationen allgemeinverständlich umsetzt werden müssen. Dafür braucht es Erklärungen bei der Verwendung von Fachbegriffen, speziellen Ausdrücken oder Abkürzungen.
Was es für barrierefreie Websites braucht, lesen Sie in meiner Checkliste – Barrierefreiheit für Unternehmens-Websites nach BFSG.
Im Folgenden soll näher geschaut werden, wer für digitale Barrierefreiheit auf seiner Online-Präsenz Verantwortung trägt und wer nicht und wann Übergangsfristen in Anspruch genommen werden können.
Wer ist NICHT in der Pflicht zur digitalen Barrierefreiheit?
Laut Paragraf 2, Nummer 17 im BFSG sind Unternehmen nicht verpflichtet ihre Online-Präsenz (Webseiten, Onlineshops) barrierefrei zu gestalten, wenn sie:
- es auf der Online-Präsenz selbst nicht zum Abschluss eines Verbrauchervertrags kommt (durch Shop, Termin- oder Ticketbuchung), als reine Präsentationswebsites ohne Verkaufsfunktion oder Websites mit reiner Informationsbereitstellung
- weniger als 10 Personen beschäftigen und höchstens einen Jahresumsatz von 2 Mio. € machen oder die Jahresbilanzsumme nicht mehr als 2 Mio. € beträgt.
- ein Unternehmen sind, die ein reines B2B-Geschäft haben.
Außerdem sind private Websitebetreiber nicht verpflichtet Barrierfreiheit auf ihrer Website umzusetzen.
Wer ist zur Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit verpflichtet?
Auf jeden Fall müssen öffentliche Stellen die digitale Barrierefreiheit auf ihrer Online-Präsenz sicherstellen. Websites von Unternehmen und Organisationen, die sich zu mindestens 50 % in öffentlicher Hand befinden oder Fördergelder erhalten sind ebenfalls barrierefreiheitspflichtig. Diese Websitebetreiber müssen laut der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) eh schon barrierefrei sein (bereits seit 2019, Ausnahmenregelungen der Bundesländer können greifen).
Für alle anderen Wirtschaftsakteure und Organisationen die nicht unter die Kleinunternehmerregelung fallen gilt Barrierfreiheit umzusetzen ab dem 28.06.2025, wenn Angebote bereitgestellt werden, bei denen es digital zum Abschluss eines Verbrauchervertrags kommt. Das umfasst auch Online-Terminbuchungen, da diese als ein Vorvertrag gewertet werden können. Auch Anfrageformulare auf einer Website zu einer Dienstleistung oder einem Produkt werden als Anbahnung eines Vertragsabschlusses gewertet.
Das Gesetz führt in zwei Listen auf, wer verpflichtet ist zur Barrierfreiheit. Einmal nennt es Produkte und in der zweiten Liste Dienstleistungen aus dem B2C-Bereich, die vom BFSG betroffen sind.
Auch wenn die Kernleistung eines Unternehmens selbst nicht direkt vom BFSG betroffen ist, könnte die Art und Weise, wie Ihre Website umgesetzt ist dazu führen, dass Barrierfreiheit umgesetzt werden muss. Wenn Ihre Website nur rein informativen Charakter hat (stellt das Unternehmen vor, listet Dienstleistungen auf, Kontaktdaten) und keine direkten Vertragsabschlüsse, Buchungen, Angebotsanfragen mit Vertragsrelevanz oder Zahlungen für Verbraucher ermöglicht, dann fällt sie vermutlich nicht unter die Pflichten des BFSG. Wenn eine Website aber so gestaltet ist, dass sie klar auf den direkten Vertragsabschluss im Sinne von E-Commerce abzielt, muss Barrierfreiheit umgesetzt werden.
Wie sieht es mit der digitalen Barrierefreiheit für die Vereinswebseiten aus?
Es betrifft grundsätzlich alle Akteure, die Produkte und/oder Dienstleistungen für Verbraucher anbieten. Eine Beschränkung auf bestimmte juristische Personen gibt es nicht, das BFSG gilt demzufolge auch für Vereine. Es werden für die Ausnahmeregelung die gleichen, bereits genannten Paramater herangezogen.
Zusätzlich ist die Bewertung des Umfangs der Mitwirkung entscheidend, also wieviel Personen machen den Verein aus. Vollzeitbeschäftigte zählen als ganze Einheit, Teilzeitbeschäftigte werden anteilig gerechnet, ehrenamtliche Mitarbeiter zählen nicht rein in die Rechnung.
Mitgliedsbeiträge basieren auf den Satzungsregeln und sind kein Verbrauchervertrag. Somit bewirken Mitgliedsbeiträge allein keine Verpflichtung zur digitalen Barrierefreiheit.
Besteht eine Pflicht zur Negativkennzeichnung?
Websitebetreiber, die nicht unter das BFSG (Barrierefreiheitsstärkungsgesetz) fallen, sind nicht verpflichtet, einen entsprechenden Hinweis auf ihrer Website zu setzen.
Warum kein Hinweis nötig ist:
Das BFSG gilt nur für bestimmte Anbieter, z. B. Unternehmen, die digitale Produkte und Dienstleistungen für Verbraucher bereitstellen (Online-Shops, Apps, Geldautomaten etc.) und erklärt auch, wer nicht pflichtig sein wird. Es ist in diesem Zusammenhang keine Pflicht zur Negativkennzeichnung festgeschrieben worden. Somit muss ein Unternehmen, das nicht unter das BFSG fällt, auch nicht explizit darauf hinweisen.
Empfehlung:
Falls Unsicherheiten bestehen oder Transparenz gewünscht ist, könnte ein freiwilliger Hinweis sinnvoll sein, z. B.:
„Unsere Website fällt nicht unter die Regelungen des BFSG. Dennoch bemühen wir uns um eine möglichst barrierefreie Nutzung.“
Übergangsfristen
Ja, es gibt Übergangsfristen – aber differenziert:
1. Websites und Online-Shops – keine Übergangsfristen: ab 28. Juni 2025 müssen alle Inhalte – neu wie bereits bestehende – barrierefrei sein.
2. Produkte / Dienstleistungen – die vor dem Stichtag erstellt wurden, erhalten eine 5‑Jahres-Übergangsfrist bis 27. Juni 2030. Produkte sind z.B. E-Book-Reader.
Die viel besprochene Übergangsfrist für bestehende Produkte bis 2030 hat für Verwirrung gesorgt. Vielerorts im Internet wurde die Übergangsfrist auch für Websites gesehen. Dieser Interpretation hat ein juristisches Statement einen Riegel vorgeschoben. Der Jurist bezieht sich sehr konkret auf Websites und Apps im Zusammenhang mit dieser eingeräumten Übergangsfrist und erklärt beide werden nicht als Produkt eingeordnet und aus diesem Grund greift hier keine Übergangsfrist.
Was ist vom Gesetz ausgenommen?
Das Gesetz gilt nicht für:
- Videos oder Audios, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden
- Dokumente, die vor dem 28. Juni 2025 online gestellt wurden (z. B. alte PDFs)
- Online-Karten, solange wichtige Navigationsinfos auch barrierefrei bereitgestellt werden
- Inhalte von Dritten, die nicht vom Unternehmen selbst erstellt, bezahlt oder kontrolliert werden
- Archiv-Webseiten, die nicht mehr aktualisiert werden
Sprechen Sie mit Ihrem Rechtsbeistand
Auch abschließend möchte ich erwähnen, dass ich keine Juristin bin. In individuellen Fällen kann eine Einschätzung zur Barriefreiheitspflicht recht kompliziert sein. Ziehen Sie einen Juristen beratend hinzu, wenn Sie vermuten, nicht unter die neuen Regelungen zu fallen.
Grundsätzlich kann man sagen, eine barrierefreie Website bietet viele Vorteile, auch wenn Sie nicht zur Barrierfreiheit verpflichtet sind. Es lohnt sich aus SEO-Perspektive Barrierefreiheit in neuen Projekten mitzudenken auch wenn Sie von der Pflicht nicht betroffen sind.